Dishonored 2

Videoessay:

Dishonored 2 - Ein Riss in der Fassade

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Eines meiner absoluten Lieblingsspiele ist Dishonored 2. 
Besonders das Level „Ein Riss in der Fassade“ hat mich nachhaltig beeindruckt.
Was dieses Level für mich so besonders und einzigartig macht, könnt ihr euch in diesem kurzen Videoessay anschauen.

Essay:

Dishonored 2 - Ein Riss in der Fassade

[*Der folgende Essay enthält massive Spoiler für Dishonored 2*]

Dishonored ist eine meiner Lieblingsspielreihen. Mit dem Titel kam ich das erste Mal bei meinem Onkel in Kontakt. Auf einer abgeranzten und mit Katzenhaaren übersähten Couch saß ich also da. Ein kleines, dreizehnjähriges Mini-Ich mit einem Xbox Controller in der Hand. Meine erste Frage war, ob ich denn vor allen Gegnern wegrennen könne. Konnte ich natürlich nicht. Schreiend und wild mit der Klinge um mich schlagend, bin ich also durch jedes Level geflogen und habe nichts von dem eigentlichen Spiel wahrgenommen.

Als ich dann endlich alt genug war, mich dem Spiel auf eine sinnvolle Weise zu nähern, haben mich die übernatürlichen Fähigkeiten Corvos, das düstere Setting und das clevere Level Design vollkommen verzaubert. Während meiner Schulzeit zog ich das Spiel immer gerne dann heran, wenn mir mal wieder danach war, meinen Frust über die Schule und die Welt an nichtsahnenden NPCs auszulassen.

Ganze Galaxien sind entstanden, verendet und wieder neu geboren bevor ich endlich in den Genuss kommen sollte, die Fortsetzung von Dishonored zu genießen. Die Story ist, wie im ersten Teil auch schon, recht simpel und überschaubar. Das Gameplay, der Artstyle, der Soundtrack, und auch sonst alles andere sind aber um Welten besser geworden. Doch vor allem das Leveldesign in Dishonored 2 ist phänomenal.

Und für mich war es so beeindruckend, dass ich glatt einen Essay darüber verfassen könnte. Da ich den altbekannten Rahmen aber nicht sprengen möchte, will ich mich auf nur ein Level des Spiels konzentrieren: Ein Riss in der Fassade.

Ziel der Mission ist es, Delilahs Geheimnisse aufzudecken. Dafür begeben wir uns in Aramis Stiltons Anwesen, an dem vor drei Jahren ein schreckliches Ritual stattgefunden haben soll und wir möchten natürlich herausfinden, was da vor sich gegangen ist.

Stiltons Anwesen (Dishonored 2, Arkane Studios, 2016).


Nachdem wir das Anwesen betreten, merken wir sofort: etwas stimmt nicht. Denn in Stiltons Anwesen werden uns unsere übernatürlichen Fähigkeiten genommen. Also die wesentlichen Mechaniken, die nun mal zum Image des übernatürlichen Assassinen dazugehören und Dishonored besonders machen. Dieses Element ist keineswegs neu für Dishonored. So haben unsere Protagonisten nur selten zu Beginn des Spiels das Geschenk des Outsiders inne, doch ist der Zeitpunkt, an dem uns diese genommen oder vorenthalten werden eben immer zu Beginn des Spiels. Ein Riss in der Fassade ist jedoch eine der letzten Missionen, mit denen wir uns in Dishonored 2 rumschlagen müssen. Also kommt der Verlust unserer übernatürlichen Kräfte doch sehr überraschend und stellt unsere angeeignete Spielweise auf die Probe. Wir müssen also nicht nur nach neuen Bewegungsmöglichkeiten Ausschau halten (denn unsere sonst so verlässliche Teleportation ist Flutsch und Weg), nein, wir müssen auch die direkte Konfrontation mit Gegner neu angehen. Denn jetzt ist es nicht mehr möglich die Zeit anzuhalten, Ratten zu beschwören oder mit Hilfe unserer Schattengestalt an Gegnern vorbei zu schleichen – Nein, Sir, wir müssen unsere Klinge wie ein normaler Mensch schwingen!

Das Level nötigt uns also dazu, unsere Spielgewohnheiten neu zu überdenken und neue Wege zu finden, wie wir räumliche Hindernisse überwinden können. Doch ganz alleine lässt uns das Level dennoch nicht zurück.

Der ausschlaggebende Grund für die Komplexität des Levels, ist nämlich der Chronowandler. Der erlaubt es uns zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit hin und her zu springen und hilft uns so über den Verlust unserer übernatürlichen Kräfte hinweg.

Der Chronowandler (Dishonored 2, Arkane Studios, 2016).
Die drei fächerähnlichen Spiegel, die am Chronowandler angebracht sind, lassen uns einen Blick in die jeweilige andere Zeit erhaschen. Das spannende daran ist, dass dadurch beide Zeiträume parallel sichtbar sind und uns so ein guter Überblick über Hindernisse, Herausforderungen und entsprechende Handlungsoptionen gegeben wird.

Dadurch haben wir beispielsweise die Möglichkeit Türen, die in der Gegenwart versperrt sind, einfach durch den Wechsel in die Vergangenheit zu umgehen und werden dadurch aber mit anderen Herausforderungen, wie zum Beispiel der Vielzahl an Wachen, konfrontiert.

So gibt es einen Raum, den wir nur betreten können, indem wir die Funktionsweise des Chronowandlers verstanden haben und die Objekte, die uns zum Erreichen des Raums im Weg stehen, umgehen. Haben wir diese Herausforderung gemeistert, betreten wir einen Raum, in dem sich Blutfliegen ein gemütliches Zuhause eingerichtet haben. Begeben wir uns in die Vergangenheit, gibt es einfach noch kein Blutfliegennest. Stattdessen sehen wir eine Hundeleiche und eine Notiz, die uns verrät, dass eben diese mit Blutfliegenlarven infiziert ist. Entledigen wir uns also der Leiche, indem wir sie verbrennen und springen dann wieder in die Gegenwart zurück, ist das Nest der Blutfliegen verschwunden. Durch einen erneuten Zeitwechsel können wir dann auch den Code für den Safe eingeben, der uns so freundlich anlächelt.

Und genau diese Arten von Interaktionsmöglichkeiten sind es, die dieses Level für mich so besonders machen. Denn auf ganz viele unserer Handlungen in der Vergangenheit, sehen wir eine direkte Konsequenz in der Gegenwart. Und das ist einfach unglaublich gut durchdachtes Level und Gameplay Design.

Diese Art von Handlungsoptionen beschreibt Mark Brown in seinem Video „The Power of invisible choices“ als – Überraschung – invisible choices. Diese Choices oder Entscheidungen heben sich laut ihm von den explicit choices, also den offensichtlichen Entscheidungen ab. Das wären also Spiele, die explizite Entscheidungen von Spielern fordern und gar keine andere Möglichkeit bieten, als sich in diesem Moment für etwas zu entscheiden. Dabei kann es sich um Klassiker handeln, wie: Drücke A, um das zu machen und B, um dies zu machen. Dazu zählt aber auch das beliebte Dialog Rad, das uns sagt, wie unsere Figur reagieren wird und uns manchmal sogar die Konsequenzen dieser Handlung direkt mitliefert.

Das Dialograd in Dragon Age: Inquisition (BioWare, 2014).


Gegensätzlich dazu stehen die invisible choices, die eben nicht explizit dargelegt werden müssen, sondern durch die bereits erlernten Gameplay Mechaniken umgesetzt und beeinflusst werden können. Und Dishonored ist ein Spiel, was die invisible choices brillant umsetzt. So gibt es in allen Teilen das sogenannte Chaossystem, was im Hintergrund unsere Spielweise beobachtet. Spielen wir besonders offensiv und töten jeden, der uns in den Weg kommt, resultiert das nicht nur in einem düsteren Ende für die Geschichte, sondern auch die Levelinhalte verändern sich entsprechend. So tauchen dafür im ersten Teil mehr Wachen und Tallboys auf, aber auch mehr Ratten und Weiner schmücken die Straße von Dunwall. Und auch im zweiten Teil macht sich diese Mechanik wieder bemerkbar, nur das hier die Ratten und Weiner durch die Blutfliegen und die Nestwächter ersetzt werden. Ein eher pazifistischer Spielstil löst genau das Gegenteil aus: weniger Gegner und ein Hauch von Optimismus im Ende. Zusätzlich dazu können sich auch Dialoge zwischen NPCs verändern und auch die Kommentare von Corvo/Emily im zweiten Teil passen sich unserem Spielstil an. Entscheidungen werden hier also durch zentrale Gameplay Mechaniken umgesetzt, ohne, dass uns ein Entscheidungszwang auferlegt wird.

In „Ein Riss in der Fassade“ erhalten wir durch den Chronowandler nochmal eine ganz neue Gameplaymechanik, die unsere Handlungen in der Vergangenheit als direkte Konsequenzen auf die Gegenwart projiziert. Die Funktionsweise des Chronowandlers wird einmalig erklärt und einzelne Kommentare von Seiten unseres Avatars lassen erahnen, dass unser Handeln in der Vergangenheit Konsequenzen für die Gegenwart hat.
Und diese Prämisse nimmt durch das Ausknocken von Aramis Stilton wortwörtlich eine ganz neue Dimension an. Denn durch seine Bewusstlosigkeit kann er nicht an Delilahs Ritual teilnehmen, das ihn in der Gegenwart zu einem sehr durchgedrehten Mann hätte werden lassen sollen, der in seinem auseinanderbrechenden Anwesen vor sich hin vegetiert.

Als ich in der Vergangenheit das Gesicht des guten Mannes also ohne mir nichts, dir nichts auf den harten Boden seines Pavillons klatsche um ihn vor seinem grausamen Schicksal zu bewahren, war mir nicht klar, was mich nach dem Wechsel in die Gegenwart erwarten würde. Als mich dann plötzlich warmes Licht und glänzende Marmorböden anlächelten und eine Angestellte schreiend vor mir weglief, dachte ich dass das Spiel irgendwas falsch geladen hätte. Nachdem sich aber nach dem Neuladen meines Spielstandes die selbe Szenerie abspielte, dämmerte es meinem kleinen Erbsenhirn plötzlich, dass ich eben eine neue Gegenwart geschaffen hatte. My kleines Erbsenhirn was blown away und ich hatte ein wunderschönes, gepflegtes Anwesen vor mir, indem es nur vor Wachen wimmelte.

Stiltons Anwesen in der neuen Gegenwart (Dishonored 2, Arkane Studios, 2016).


Die Entwickler haben also für das Durchführen einer einzigen und sogar noch optionalen Handlung einfach mal eine weitere, alternative Realität in das Level eingebaut. Wie brillant ist das denn bitte?! Auch nach dem Verlassen des Anwesens, begegnen uns noch weitere Details, die uns unser Handeln vor Augen führen. So geht es den Arbeitern im Staubdistrikt um einiges besser und unsere Kapitänin Meagan Foster begrüßt uns auf der Dreadful Whale ohne Armprothese und Narbe über ihrem Auge.

Fassen wir also zusammen:
Das Level stellt Spieler vor eine neue Herausforderung, indem es uns unsere bewährten Fähigkeiten nimmt und wir ein neues Gameplay Element in Form des Chronowandlers erhalten. Wir müssen also unsere gewohnte Spielweise anpassen und können das Level gleichzeitig auf eine ganz neue Art und Weise erkunden.

Die Funktion des Chronowandlers wird uns nur mit subtilen Hinweisen vermittelt, kann dann von Spielern genutzt werden und ermöglicht es uns die Grenzen des Items zu erkunden. Im Sinne der invisible choices werden uns also nicht ständig Optionen und Handlungsmöglichkeiten unter die Nasen gerieben; vielmehr wird das eigenständige Ausprobieren gefördert. Dadurch macht das Erkunden und Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten des Levels mehr Spaß und es wirkt viel erfüllender, wenn alternative Herangehensweisen und sogar Realitäten auf eigene Faust erkundet werden können.

Das Level ist nur eines von vielen Beispielen, wie Arkane Studios invisible choices nutzt, um möglichst viele Handlungsoptionen in ihre Spiele einzubauen, ohne einen direkten Entscheidungszwang zu integrieren.